Die Dunkelheit holt mich ein- „Das Gefängnis meiner Gedanken“

Es gab immer wieder Phasen in meinem Leben, in denen ich spürte, dass ich „anders“ bin – Phasen, in denen ich mich antriebslos, hilflos, schwach und vollkommen fehl am Platz fühlte. Phasen, in denen ich mich am liebsten vor den Anderen versteckt hätte und mich in meine imaginäre“ Welt beziehungsweise in das „Gefängnis“ meiner Gedanken zurückgezogen hätte und jeglichen Kontakt zur Außenwelt abgebrochen hätte.

Es waren Zeiten in denen ich mich energielos, kraftlos und überfordert fühlte. Doch in meiner Vorstellung von mir als perfekte, erfolgreiche, liebevolle, glückliche Person, gab es keinen Platz und auch keine Zeit dafür mich zurückzuziehen. Ich musste und wollte funktionieren, wie ich es von mir gewohnt war – keine Schwäche zeigen und die „Maske“ beziehungsweise das „Image“ das ich mir so hart erarbeitet hatte wollte ich unbedingt bewahren. Niemand sollte erfahren, dass ich Fehler habe und dass ich oft am Rande der Verzweiflung und am Ende meiner Kraft war. Jetzt vergleiche ich das oft mit einem „Hamster im Rad“ .. das Rad muss sich drehen und damit das funktioniert muss der Hamster laufen und laufen – nur dann erreicht er sein Ziel… Bei mir war es zwar kein „Rad“ – es war meine Vorstellung von einem „perfekten“ Leben – einem Leben in dem ich erfolgreich, wohlhabend (a la „schaffa schaffa – hüsle baua“), hübsch, beliebt war und ein perfektes Familienleben führte.

Das war mein Anspruch an mich und an mein Leben und ich wollte diese „perfekte“ Welt unter allen Umständen Realität werden lassen. Daher lief ich weiter „im Rad“ und verfolgte mein Ziel, ohne dabei auf die „Zeichen und Botschaften“ zu achten, welche mir mein Geist und meine Gedanken mir immer wieder schickten.

Das ging lange mehr oder weniger gut und ich konnte den Schein meiner Vorstellung einer „perfekten“ Christina wahren. Stetig arbeitete ich an meiner „perfekten“ Welt und war darin sehr erfolgreich. Ich hatte einen angesehenen und sicheren Beruf in der Bank, lernte meinen zukünftigen Mann Andi kennen, war sehr erfolgreich im Sport, hatte nach meiner Definition eine Traumfigur und war immer gut drauf und freundlich zu allen.

Doch genau dann, als ich das Gefühl hatte, dass ich mein Ziel erreicht habe und bald heiraten und eine Familie gründen würde holte mich die Dunkelheit ein…

Im Nachhinein habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, warum genau dann – warum dann wenn ich eigentlich „glücklich“ sein sollte – warum dann wenn meine Vorstellung und das Ziel, nachdem ich mich so gesehnt hatte und für das ich so hart gekämpft hatte endlich zum Greifen nah war. Ich persönlich fand eine Erklärung einer sehr guten Freundin von mir sehr passend – Sie hat gesagt, dass ich wahrscheinlich in dem Moment in dem ich „scheinbar“ alles erreicht hatte was ich wollte nicht das Glücksgefühl bekam, welches ich erwartet hatte – nicht das Gefühl, welches ich mir vorgestellt hatte, obwohl ich eigentlich „alles“ hatte was ich mir immer gewünscht habe. Ich hatte mein „Ziel“ erreicht, doch ich war noch immer nicht „glücklich“.

Nur hatte ich jetzt auch keinen Antrieb mehr beziehungsweise keine Motivation weiterhin „Vollgas“ zu geben, da ich ja „eigentlich“ meinen Traum von einem „perfekten“ Leben erreicht hatte. Dieses Gefühl beziehungsweise die Erkenntnis , dass das nachdem ich mich solange gesehnt hatte nicht zu dem gewünschten Ergebnis führte – nämlich Freude, Glück und Zufriedenheit – ein Gefühl von „Angekommensein“ zog mir buchstäblich den Boden unter den Füßen.

Da ich aufgrund meiner Erkrankung und der Behandlung sehr viel vergessen habe ist was dann kommt sehr verschwommen und ich kann die Zeit und die Ereignisse nur mit Hilfe meiner Familie und anderen involvierten Personen rekonstruieren.

Ich hatte von einem Tag auf den anderen das Gefühl „überfordert“ zu sein – nicht nur „überfordert“ sondern vollkommen leer. Das Gefühl, dass ich nicht mehr kann und dass ich eigentlich gar nicht wusste wer ich eigentlich bin. Ich war in meiner eigenen Gedankenwelt gefangen- einer Welt in der alles dunkel und kalt war und nichts einen Sinn machte… eine Welt in der ich keine Motivation für nichts hatte und jeder Tag eine Qual war.. eine Welt die mich innerlich auffraß und in der ich alleine war- und niemand von „außen“ konnte mich in meiner Welt „besuchen“ geschweige denn mir den „Weg zurück zum Leben“ zeigen. Es kam wie es kommen musste- ich bekam Krankenstand, war unfähig meinen „gewohnten“ Tätigkeiten nachzugehen und wollte mich einfach nur zurückziehen.

Da sich mein Zustand nicht besserte wurde ich stationär ins LKH Rankweil aufgenommen. Doch weder die medikamentöse Behandlung noch andere Therapien (Gesprächstherapie, Lichttherapie, Bewegungstherapie, Gruppenarbeit, etc…) konnten mich aus meiner Welt – meinem Gefängnis befreien. Ganz im Gegenteil- ich distanzierte mich immer mehr von mir selbst und meinen Lieben und es schien als wäre ich nur noch physisch anwesend- eine „leere“ Hülle.

An einem meiner „Wochenendausflüge“ eskalierte dann die Situation. Ich schnappte mir mein Fahrrad fuhr ins „Gütle“ und ging von dort aus zu Fuß zur Rappenlochbrücke. Ich wollte meinem Leben beziehungsweise dem Leben das ich immer für das meine gehalten hatte ein Ende setzen. Bei der Brücke angekommen wollte ich mich noch persönlich von meinem behandelnden Psychologen Mag. Blum verabschieden beziehungsweise ihm mitteilen, dass ich mir das Leben nehmen möchte, da ich keinen anderen Ausweg mehr sah. Es gelang ihm meinen Standort zu ermitteln und er informierte umgehend die Polizei. Währenddessen kletterte ich über das Geländer und positionierte mich auf einem kleinen Brett um mein Vorhaben in die Tat umzusetzen und zu springen. Die Polizei kam – einer der Polizisten war Andreas Benedikt– der sofort versuchte mich zu fassen und mich wieder nach oben beziehungsweise auf die Brücke zu ziehen. Da ich jedoch nicht gewillt war meinen Plan aufzugeben und ich mich tatsächlich „fallen“ ließ konnte er nur noch meine Jacke am Ärmel fassen. Es erforderte eine unglaubliche Kraft mich zu halten und Andreas wusste, dass er mich alleine nicht hinaufziehen konnte. Sein Kollege, Daniel Heinzle kam ihm zu Hilfe. Sie versuchten gemeinsam mich festzuhalten und wieder auf „sicheren“ Boden zu bringen, jedoch rutschte ich langsam aber sicher aus meiner Jacke und ohne meine Hilfe wären alle ihre Bemühungen umsonst gewesen. Andreas versuchte mich zu beruhigen und mich dazu zu überreden mich am Geländer festzuhalten – mit Erfolg. Im letzten Moment griff ich nach dem Geländer und wurde von Andreas und Daniel wieder hochgezogen. Natürlich wurde ich umgehend ins LKH Rankweil zurückgebracht.

In Rankweil wurde ich auf die „geschlossene“ Abteilung eingewiesen und die Behandlung wurde fortgesetzt. Doch der Erfolg beziehungsweise die Verbesserung meines Zustandes blieb weiter aus. Es wurden verschiedene Medikamente ausprobiert, doch leider zeigte keines die gewünschte Wirkung.

Um mich etwas auf „andere“ Gedanken zu bringen unternahmen mein Bruder MarkusMäcky“ und mein Vater einen Ausflug mit mir. Wir fuhren ins Tirol um ein Fußballspiel anzuschauen. Laut meinem Vater erwähnte ich ständig, dass ich nicht mehr auf Vorarlberg möchte , dass ich mich dafür schäme, dass ich krank bin und dass alle es wissen. Jedoch konnte mein Vater natürlich nicht einschätzen wie ernst es mir mit diesen Aussagen war beziehungsweise wie sehr mich diese Situation des „nicht perfekt“ Sein beschäftigte und belastete… Am Rückweg bat ich Mäcky und meinen Vater darum, dass ich hinten sitzen kann, da ich müde war und versuchen würde etwas zu schlafen. Mein Bruder saß am Steuer und mein Vater war der Beifahrer. Es war eine Autofahrt wie immer bis zu jenem Moment als wir im „Roppenertunnel“ einen LKW überholten und ich kurzerhand die Autotür öffnete und aus dem Auto sprang. Ich wollte wiederum diesem Leben, dieser Qual und der dunklen Gedankenwelt in der ich gefangen war entkommen und ich wollte definitiv nicht wieder nach Vorarlberg, da nun alle wussten, dass das Bild, das ich von mir aufgebaut hatte nur „Fassade“ war und ich „krank“ war. Daher wählte ich den „Sprung“ aus dem Auto – einen „Sprung“ der mich endlich von meinen Qualen und der Dunkelheit befreien sollte. Doch wieder meinte es das Schicksal anders mit mir… während meines „Sprunges“ vor den LKW spannte sich mein Körper „bewusst oder unbewusst“ mit voller Kraft an und ich „rollte“ mich ab – wie ich es aus meinen Zeiten als leistungsmäßige Handballspielerin gewohnt war. Darüber hinaus hatte der LKW Fahrer geistesgegenwärtig beobachtet, wie ich am Türgriff hantierte und hatte die Geschwindigkeit reduziert- dadurch war es ihm möglich rechtzeitig zu bremsen- ohne wie von mir „geplant“ mich zu überfahren. Ich kam auf der Straße zu liegen. Laut Aussagen meines Bruders fuhren er und mein Vater in die nächste Ausweiche und dort „parkierte“ mein Bruder das Auto. Er informierte umgehend die Straßenmeisterei, dass sie den Tunnel aufgrund des Unfalls sperren sollten. Mein Vater rannte währenddessen zurück zum „Unfallort“ um nach mir zu sehen. Die Rettung wurde alarmiert und ich wurde auf direktem Weg in die Uniklinik Innsbruck gebracht. Dort wurde eine Not-Operation durchgeführt, da ich mir beim „Sprung“ aus dem Auto einen Bruch meines rechten Sprunggelenkes zugezogen hatte. Wie durch ein Wunder konnten sie meinen Fuß retten und außer dieser Verletzung hatte ich nur Schürfwunden davongetragen. Auch heute kann ich kaum begreifen welches Glück ich hatte, dass ich diesen „Unfall“ überlebt habe. Als ich wieder transportfähig war wurde ich in die Psychiatrie der Klinik Innsbruck eingewiesen.

Wiederum versuchten die Ärzte und Psychologen alles um mich aus meiner „dunklen, einsamen“ Welt zu holen- doch auch dieser Versuch scheiterte. Meine Familie besuchte mich so oft wie möglich und alle unterstützten mich wo sie nur konnten. Bei jedem ihrer Besuche versucht ich meine Angehörigen zu überreden, mir meinen Wunsch, den Wunsch nicht mehr am Leben zu sein zu ermöglichen und mich in meinem Vorhaben mich umzubringen zu unterstützen. Unter anderem bat ich meine Patentante darum, mir Medikamente zu besorgen (sie leitet eine Apotheke in Dornbirn), um mir dann damit mein Leben nehmen zu können. Nach einiger Zeit wurde ich dann wieder von Innsbruck nach Vorarlberg gebracht um die Therapie dort fortzuführen. Während der ganzen Zeit meiner Depression litt ich zusätzlich noch unter Verfolgungswahn und hatte ständig das Gefühl beobachtet zu sein. Ich hatte das Gefühl ein schlechter Mensch „ein Dämon“ zu sein, der von der Polizei verfolgt wird. Ich war anderen Menschen, insbesondere Psychologen gegenüber sehr zurückhaltend und redete sehr wenig. Ich versuchte mich so gut es ging zu „verstecken“ und nicht aufzufallen.

Ein weiterer Versuch mich auf andere Gedanken zu bringen war eine Reise nach England mit meinem Freund Andi. Während dieses Aufenthaltes bemerkte ich, dass ich ständig müde war und dass mir auch übel war… Ein Schwangerschaftstest bestätigte dann meine Vermutungen… Ich erwartete ein Kind. (dazu möchte ich sagen, dass ich mir immer von Herzen ein Kind gewünscht hatte und mir diesen Traum auch aufgrund meiner Krankheit nicht nehmen lassen wollte). Zurück in Vorarlberg kontaktierte mein Vater einen guten Bekannten von ihm- Ferdinand Lerbscher– der ein Projekt für Menschen mit psychischen Leiden führte. In diesem Projekt-GLL „Gemeinsam Leben Lernen“- verbrachte ich nun meine Tage mit Gleichgesinnten und jeder Tag bot die Möglichkeit an verschiedenen Therapien teilzunehmen und zusätzlich einen „geregelten“ Alltag zu haben. Bis zum letzten Tag meiner Schwangerschaft – den Tag der Geburt meiner ersten Tochter Xenia Marie verbrachte ich meine Zeit in dem Projekt.

Dieser Tag sollte in den Vorstellungen von mir und auch von meiner Familie, insbesondere meinem Mann dazu beitragen, dass ich mein Glück und meine Freude wiederfinde und Xenia mir hilft neue Kraft und neuen Willen zu entwickeln zurück in „mein“ Leben zu kommen. Doch leider wurde auch diese Hoffnung schnell zerstört. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Beschwerden (Depression, in mich zurückziehen, mutistische Störung) entwickelte ich nun „Wahnvorstellungen“ welche dazu führten, dass ich der fixen Überzeugung war, dass Xenia todkrank war und bald sterben würde. Ich war so gefangen in dieser Vorstellung, dass weder meine Familie noch die Ärzte mich vom Gegenteil überzeugen konnten. In dieser Zeit wurde ich wiederum sehr unterstützt von meinem Mann Andi (wir hatten in der Zwischenzeit geheiratet), meiner Familie und der Organisation Netzwerk Familie, welche mir eine Hebamme vermittelte. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es solche Institutionen gibt und meiner Meinung nach ist es definitiv keine „Schwäche“ Hilfe anzunehmen, sondern ganz im Gegenteil – ich finde Menschen, die sich eingestehen, dass sie Hilfe brauchen und diese auch in Anspruch nehmen sehr stark.

Dank der bereits erwähnten Unterstützung von meinem Umfeld „bewältigte“ ich den Alltag mit meiner Tochter so „gut“ es möglich war. Noch heute schmerzt es mich sehr, wenn ich daran denke, dass ich Xenia nicht die Liebe und Aufmerksamkeit geben konnte, die ich ihr so gerne gegeben hätte. Ich hatte die unbegründete Angst mich zu sehr an sie zu binden, da sie in meiner Vorstellung nicht lange zu leben hatte und mich ihr Verlust dann umso mehr geschmerzt hätte. Da sich mein Zustand nicht änderte wurde ich nach etwa einem halben Jahr erneut in die Psychiatrie eingewiesen. Was dann kam kannst du gerne in meinem nächsten Beitrag – der „Weg zurück zum Leben“ verfolgen…

 

Paul Volkmer 299704

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