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Der Schleier des Vergessens

Ich war gestern auf einer sehr interessanten und sehr beeindruckenden Veranstaltung im Kulturhaus Dornbirn – einem Musical zum Thema Freude… Ein Thema, das mich sehr berührt hat und auch sehr an meinen eigenen Weg zurück zur Freude und zurück zum Leben erinnert hat.

Nach der Veranstaltung habe ich einen guten Bekannten getroffen und wir sind ins Gespräch gekommen. Er hat mir unter anderem zu meinem Blog gratuliert und wir haben uns etwas darüber unterhalten. Auf der einen Seite spürte ich seine Begeisterung, doch da war noch etwas anderes… etwas, das ich zuerst nicht in Worte fassen konnte…Unter anderem hat er gemeint, dass ich gut auf mich aufpassen soll und auf mich schauen soll – nicht nur auf die Anderen beziehungsweise nicht nur darauf, dass ich Anderen helfen möchte mit meinem Blog..

Ich habe mein Erlebnis anschließend mit meiner Mutter – die mich zu der Veranstaltung begleitet hat versucht zu analysieren beziehungsweise herauszufinden, was er mit damit sagen wollte … und sie hatte eine sehr gute Erklärung dafür…Er hatte Angst… Angst davor, dass ich mich wieder überfordern könnte und Angst davor, dass mich die Erinnerungen und Gedanken an meine dunkle Zeit – die Zeit im Gefängnis meiner Gedanken wieder einholen könnte…

Das Gespräch hat mich anschließend noch beschäftigt und ich habe darüber nachgedacht, ob seine Bedenken vielleicht berechtigt sind. Doch nach einigem Nachdenken habe ich für mich wahrgenommen, dass es natürlich für viele unbegreiflich ist, dass ich mich nochmals mit der ganzen Situation und dem Erlebten konfrontiere, doch für mich selbst ist es keine Konfrontation, denn es fühlt sich für mich an, als ob ich das alles nie persönlich erlebt habe. Als ob ich bei all diesen schwierigen und einschneidenden Ereignissen nie anwesend war… Ich war ein anderer Mensch – eine andere Christina. Ich weiß, dass klingt jetzt vielleicht unrealistisch und fremd – glaubt mir, das tut es auch für mich, doch es ist die Realität. Ich weiß nicht, ob es ein Schutzmechanismus meines Körpers/meiner Psyche ist oder auch teilweise eine „Nebenwirkung“ meiner EKT-Behandlungen.

Egal was es ist, es ermöglicht mir über die Vergangenheit – über meine Krankheit offen zu sprechen und meine Erfahrungen zu teilen, ohne mich darin zu verlieren und in die „Dunkelheit“ einzutauchen. Teilweise fühlt es sich wirklich an, wie wenn ich die Geschichte eines guten Freundes erzähle, der mir sehr vertraut ist … doch selbst dann würden mich diese Beschreibungen wahrscheinlich mehr traumatisieren als es der Fall ist.

Ich habe sehr viel „vergessen“ und bin immer wieder erstaunt und auch erschrocken über die Erzählungen meiner Familie, meiner Freunde, meiner Psychologin, meinem behandelnden Arzt und anderen Beteiligten. Für mich ist es kaum vorstellbar, dass ich all das persönlich erlebt habe und dass ich mich von einem Tag auf den anderen so verändern konnte.

Aber ich bin fest davon überzeugt, dass mich meine Psyche dadurch schützen will und mir ermöglicht wieder ein glückliches und abwechslungsreiches Leben ohne Angst zu führen.

Doch es gibt auch Ereignisse, an die ich mich nur zu gerne bewusst erinnern möchte, die ebenfalls „gelöscht“ wurden. Unter anderem meine Hochzeit mit meinem Mann Andi, meine Schwangerschaft, die Geburt meiner Tochter Xenia und ihr erstes halbes Lebensjahr. Erst die EKT- Behandlungen haben es mir ermöglich wieder aktiv und bewusst an meinem und am Leben von Xenia teilzuhaben. Ich kann mich leider weder daran erinnern, wie es war Xenia nach ihrer Geburt das erste Mal im Arm zu halten, noch daran wie es sich am Anfang angefühlt hat Mutter zu sein. Ich war lediglich physisch präsent- aber mein Geist/meine Psyche haben diese wunderschönen und kostbaren Momente nicht aktiv miterlebt beziehungsweise als Erinnerungen gespeichert. Das war unter anderem auch ein Grund, warum ich mich so sehr auf die Geburt meiner zweiten Tochter Zoe gefreut habe und mich so sehr danach gesehnt habe das alles noch einmal bewusst zu erleben. Und ich bin unglaublich dankbar dafür, dass diese Sehnsucht nun erfüllt wurde.

Das Gefühl sie nach unserem gemeinsamen Weg ins Leben in den Arm nehmen zu können und mit ihr die Nähe und Geborgenheit zu erleben, diese  Freude und das Glück, kann ich nicht in Worte fassen. Nach ihrer Geburt am 19.10.2015 um 21.31 Uhr habe ich sie die ganze Nacht nur betrachtet und war einfach nur überwältigt, wie „perfekt“  dieses kleine Wunder war. Sie lag neben mir im Beistellbett und hat seelenruhig geschlafen, während ich sie betrachtet habe und ihre Hand gehalten habe. Ich habe dabei aber auch einen Schmerz beziehungsweise  eine Trauer empfunden, dass das mit meiner ersten Tochter Xenia nie in dieser Form möglich war. Ich war damals eine andere Person, eine andere Mutter, aber ich bin dennoch zutiefst davon überzeugt, dass Xenia gespürt hat, wie sehr ich sie liebe und wie sehr sie mir trotz meiner Krankheit am Herzen gelegen hat. Es war sicher auch unglaublich wichtig, dass meine Familie – insbesondere meine Eltern und mein Mann Andi mich und Xenia in dieser Zeit unterstützt haben und Xenia gezeigt haben, dass sie in eine liebevolle und sichere Umgebung geboren wurde in der es ihr an nichts fehlen wird. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass unsere Bindung trotz allem wahnsinnig stark ist und ich liebe meine kleine „Hexe“ über alles. Ich kann nur staunen, wie sie sich trotz der Schwierigkeiten in der Schwangerschaft und auch in der ersten Phase ihres Lebens zu einem lebensfrohen, sehr selbstbewussten und aktiven Mädchen entwickelt hat.

Ich weiß es ist kaum vorstellbar, dass man Teile eines Lebens einfach so „löschen“ kann, aber ich glaube, dass meine Psyche mich damit schützen wollte. Natürlich würde ich mich sehr gerne an diese besonderen und glücklichen Momente mit meiner Familie, meinem Mann und insbesondere Xenia erinnern können- doch es gibt leider keinen „Reset“ –Knopf, der mir diese Erinnerungen wieder zurückbringt. Darum bin ich unglaublich dankbar dafür, dass ich das Glück hatte dieses Wunder des Lebens nochmal bei vollem Bewusstsein zu erleben.

Xenia und Zoe – ich liebe euch über alles und werde immer versuchen euch die beste Mama zu sein, die ich kann….Ich werde euch auf eurem Weg begleiten und versuchen mein Bestmögliches zu tun, dass euch die Erfahrungen und das Leid, das ich aufgrund meiner Erkrankung erfahren habe erspart bleiben… Ihr könnt immer auf mich, euren Papa, eure Oma und Opa und viele andere Menschen zählen, die euch zeigen, wie schön das Leben ist…

Eure Mama

Christina