„WER BIST DU!?“ “ WER BIN ICH!?“

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„WER BIST DU!?“ “ WER BIN ICH!?“

„Wer bist du!?“ – Diese Frage stellen sich sehr viele Kollegen, Bekannte, Freunde, aber insbesondere Familienmitglieder und Lebenspartner oder Ehefrauen/Ehemänner, wenn bei ihrem/ihrer Liebsten eine Depression ausbricht.

Von einem Moment auf den anderen verwandelt sich die Person, die man immer geliebt hat und auch jetzt noch liebt in einen anderen Menschen. So kann aus einem lebensfrohen, motivierten und engagierten, ehrgeizigen und geselligem Menschen von einem Augenblick auf den anderen eine Person werden, für die es bereits eine fast unüberwindbare Aufgabe ist morgens aus dem Bett zu kommen. „Wie soll ich denn damit umgehen!?“ – „Ich kann sie/ihn und ihr/sein Verhalten einfach nicht verstehen!?“ ist dann häufig die Reaktion. Und mit Recht…. Denn man erkennt sein Gegenüber nicht wieder und hat daher keine Ahnung, wie man ihn/sie unterstützen kann und was man machen kann, damit es ihr/ihm besser geht, dass er/sie wieder sich selbst sein kann…. Und das ist genau der Punkt- denn das weiß der /die Betroffene sehr oft selbst nicht. Auf die gut gemeinten Fragen- „Wie kann ich dir helfen!?“-„Was kann ich für dich tun!?“ können viele/ ich glaube fast alle Betroffenen keine Antwort geben.

Als ich in dieser Situation war konnte ich definitiv nicht verstehen was mit mir los ist, geschweige denn hatte ich eine Ahnung davon, wie ich wieder aus dieser Dunkelheit heraus kommen kann und wieder ich selbst sein kann. Die lebensfrohe, lustige, engagierte, sportliche und ehrgeizige Christina, die sich immer gerne mit Freunden getroffen hat und viel unterwegs war. Man kennt sich selbst nicht und wünscht sich definitiv nichts mehr als wieder in das „alte“ Leben zurückkehren zu können und wieder das „alte“ Ich sein zu können. Man würde am liebsten die Zeit zurückdrehen und aus der Dunkelheit ausbrechen. Denn schon alleine das Aufstehen, sich Anziehen und andere „alltägliche“ Aufgaben wurden für mich zur „Mission Impossible“. Alles war anstrengend und zu nichts hatte ich Lust. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag im Bett liegen geblieben und hätte die Zeit mit Nichtstun verbracht.

Mein Bruder hat es einmal bei einem gemeinsamen Spaziergang sehr passend formuliert …. Ich war wie besessen – besessen von einem Dämon, der mich gefangen hielt und mich komplett verändert hat. Ich habe mich in dieser Zeit sogar selbst als „Dämon“ und als „schlechter Mensch“ bezeichnet und es ging sogar soweit, dass ich „Wahnvorstellungen“ hatte, dass ich von der Polizei gesucht und verfolgt werde weil ich eine „Gefahr“ für die Menschheit bin. Das zeigt wieder einmal deutlich, welchen Einfluss und welche Auswirkung die Erkrankung auf unser Gehirn und unsere Vorstellungen haben kann… Wie sehr uns unsere Gedanken beeinflussen und leiten.

Als ich einmal meinen Mann auf diese Zeit angesprochen habe und ihn gefragt habe, wie er diese „fremde“ Person und die ganzen Ereignisse, welche aufgrund meiner Erkrankung stattgefunden haben ertragen konnte. Er hat daraufhin nur geantwortet „ Jo, i lieb di halt…!“ Zusätzlich hat er immer versucht die Hoffnung daran nicht aufzugeben, dass seine Christina, die Christina die er kennen und lieben gelernt hat irgendwann wieder „zurückkommt“. Ich persönlich glaube, dass das Einzige und Beste was die Menschen im nahen Umfeld einer Betroffenen/eines Betroffenen machen können ist ihm zu vermitteln, dass sie, egal was passiert immer für einen da sind und sie versuchen ihn/sie so gut sie können auf ihrem/seinem Weg aus der Dunkelheit zu unterstützen. Denn wie ich schon öfters in meinen Beiträgen erwähnt habe glaube ich, dass man diesen Weg selbst gehen muss und daran glauben muss, dass man es irgendwann schafft wieder aktiv am Leben teilnehmen zu können.

Natürlich sind Therapien, Medikamente und andere Hilfen enorm wichtig, denn sie können dich enorm dabei unterstützen und dir die Kraft und den Mut geben gegen die Krankheit anzukämpfen und den Weg zurück zum Leben zu finden. Doch die Entscheidung dafür dich auf den Weg zu machen und alles dafür zu tun – speziell professionelle Hilfe anzunehmen- die muss von dir selbst kommen. Ich kann auf diesem Weg nur sagen, dass ich alle Menschen bewundere, die beruflich mit psychisch kranken Personen arbeiten, denn diese Arbeit fordert meiner Meinung nach enorm viel Kraft, Geduld und sehr viel Verständnis. Allen Betroffenen und den Menschen in ihrem nahen Umfeld möchte ich an dieser Stelle die Hoffnung und das Vertrauen geben, dass es, egal wie dunkel und wie verwirrend die Welt momentan ist , wieder besser werden kann und dass sie ihren Weg zurück zum Leben finden und dabei auch sich selbst „wiederfinden“ können.

Wie ich bereits beschrieben habe bedeutet das oft, dass man sich trotzdem verändert – aber diese Veränderung ist wichtig – denn es bedeutet, dass man sich zu der Person verändert, die man „wirklich“ ist beziehungsweise das Leben lebt, welches man sich tief im Inneren immer gewünscht hat. Oft ist das nämlich aus verschiedenen Gründen – Prägungen, erlerntem Verhalten, etc… nicht möglich und es erfordert viel Geduld und Mut sich auf die Suche danach zu begeben. Aber ich kann nur sagen – auch wenn ich definitiv überzeugt davon bin, dass ich selbst erst einen Teil davon gefunden habe, dass es sich lohnt – es gibt kein schöneres Gefühl, als das Gefühl sich selbst Schritt für Schritt neu kennen zu lernen und „neu“ zu erfinden.

Ich drücke euch auf diesem Weg von ganzem Herzen die Daumen, dass auch ihr die Chance bekommt diese Erfahrung zu machen….

Alles Liebe

Eure Christina